Wolle mit IQ

Lieber Tagesbuch,

damit ist jetzt nicht der übliche Schlagersänger nach einem VHS-Lehrgang gemeint – und auch nicht das Schaf, welches gemeinhin der Träger eben dieser Wolle ist. Denn bei beiden hält sich das mit dem IQ ja bekanntlich in engen Grenzen.

Nein, vielmehr Kleidung, die durch technische Weiterentwicklung unter Umständen sogar intelligenter als der Besitzer wird. Kann man also demnächst bei KIK an der Kasse darüber rätseln, ob der Wollpulli mehr Intelligenzquotient besitzt als die Mittvierzigerin, die mit ihren 2 quängelnden Kindern auf das bezahlen wartet.

Meist gehört nicht viel dazu, schließlich hat ja schon Graubrot öfter einen größeren Wirkradius als der gemeine Mitmensch. Zumindest im Darm. Dem Mitmenschen hingegen geht meist ja der Großteil des Lebens ‚am Arsch vorbei‘.

Da werden also die Kleidungsstücke mit Elektronik vollgestopft. Gut, jetzt, noch in den Kinderschuhen steckend, handelt es sich um Solarzellen die das Handy aufladen können oder bunte Lichter die auf der Anzugjacke wimmeln – oder auch um eine Heizung, die die Jacke im Winter schön wärmt. Aber wie erwähnt, dies sind ja erst die Anfänge.

Wahrscheinlich wird in nicht allzu ferner Zukunft das Handy mit der Jacke kommunizieren können. Man selber sitzt mit der Bewegungstüchtigkeit abträglichen Promillewerten an der Bar und das Handy ordert in der Zwischenzeit die letzte Runde, das Taxi und die Jacke aus der Garderobe. Und dies alles, weil die gnädige Partnerin gerade mit einer netten Nachricht unmissverständlich klar gemacht hat, dass ein ‚schlibedisch‘ bei Weitem nicht mehr ausreicht und der Heimweg unverzüglich anzutreten ist.

Beim morgendlichen ankleiden sagt einem dann der Kaschmirpulli, dass man derzeit 5 Kilo zu viel auf den Rippen hat und auf dieser Grundlage gerade eine Mitgliedschaft im Fitnessclub um die Ecke gebucht wurde.

Die Zahnbürste weist darauf hin, dass mit der neuen Creme zu viel Schmelz abgetragen wird und außerdem der nächste Kontrolltermin beim Zahnarzt fällig wird. Eine verträglichere Creme wurde bereits bestellt.

Unterdessen ergab die morgendliche Analyse der Stuhl- und Urinprobe, dass der ständige Verzehr belegter Brötchen aus dem Kantinenautomaten zu einem Anstieg beim Cholesterin geführt hat. Auch hier wird der nächste Termin beim Hausarzt unverzüglich gebucht.

Dieser ist nur wenige Minuten nach 8 darüber informiert, welche Nahrungsmittel wir in den letzten 8 Wochen zu uns genommen haben und hat ein fertig ausgearbeitetes Konzept zur Kalorienreduzierung bereits von der Krankenkasse zugesandt bekommen. In der Zwischenzeit hat das Kontrollsystem der Uhr Alarm geschlagen – zwei außerordentliche Systolen legen den Verdacht nahe, dass der Alkoholgenuss vom Vorabend nicht förderlich war.

Der Barkeeper wird darüber informiert, dass man beim nächsten Besuch auf 4 Bier und 3 Korn herunterreguliert wurde.

Bei der Gelegenheit rief Oma gerade an – sie hat durch die App auf ihrem neuen Smartphone mitbekommen, dass man den neuen Strickpulli seit Weihnachten nicht einmal getragen hat und fordert nun das Material zurück – über den geldwerten Ersatz des Aufwandes sei noch zu reden.

Kurz vor Feierabend weist der Abnutzungssensor in den Sohlen darauf hin, dass die heute Morgen angezogenen Schuhe nur noch 3 Tage Benutzung erlauben würden, dann sei ein Besuch beim Schuster nicht mehr vermeidbar. Ersatzweise könnte die Sohle auch direkt im Netz nach einem neuen, vergleichbaren Paar suchen.

Die Fahrt nach Hause wird ein Spießrutenlauf, da sämtliche am Tag empfangenen Nachrichten nun auf die Windschutzscheibe geworfen werden – durch die vielen Meetings des Tages blieb keine Zeit auch nur eine davon zu beantworten.

Die Tochter beschwert sich über die Gästeliste zur Geburtstagsparty, da sei ja nicht ein einziger dabei, der auch nur als Partner in Zukunft in Betracht kommen würde. Sie verweigert schlichtweg die Teilnahme. Außerdem habe sie noch nichts Gescheites zum Anziehen gefunden, meldet sich ihr Kleiderschrank mitten in der Nachricht zu Wort.

Die Partnerin sagt den gemeinsamen Kinoabend ab, da der Platz neben ihr von einem rechtsradikalen gebucht wurde, wie ihr gerade über das eigene Ticket mitgeteilt wurde. Da bleibt also nur ein kleiner Umweg zum Kiosk – dort angekommen stellt man aber verblüfft fest, dass der Kioskbesitzer in einer heftigen Debatte mit dem eigenen Kittel feststeckt. Nach 6 Wochen will dieser endlich mal wieder gewaschen werden und verweigert schlichtweg die Arbeit. Stocksteif steht der arme Mann hinter seiner Theke und kann nicht bedienen…

Spätestens in der eigenen Hauseinfahrt wird einem dann klar, dass man die neue Welt gar nicht so schnell um sich haben wollte. Dort weigert sich nämlich die eigene Garage, sich für die schmutzigen Reifen zu öffnen. ‚Gerade frisch gewischt‘ lautet die Anzeige auf dem Display.

Nach der Zurechtweisung durch den Nachrichtensprecher im TV, dass man ja schon seit Wochen keine Nachrichten mehr geschaut habe und so etwas nicht weiter toleriert wird, das Abo werde wohl gekündigt wenn man sein Sehverhalten nicht ändert, schleicht man sich ins Bett und das frisch bezogene Laken raunzt einen unsanft an: ‘Mensch, geh duschen!‘

 

WEISSE BESCHEID, ne?